Mehr als das Gelbe vom Ei
Der Schlingermarkt im Porträt

Branislava Braduljević verkauft in ihrem Stand Wild und Geflügel sowie gute Laune.

Fleischhauersterben? Nicht auf dem Schlingermarkt! Der ist weiterhin ein Paradies für Fleischliebhaber, die hier zwischen fünf verschiedenen Anbietern wählen können. Wer „Wild und Geflügel“ sucht, wird am Stand von Branislava Braduljević bestens beraten. Sie ist eine alte Bekannte in Floridsdorf. 25 Jahre lang hat sie für ihren Chef, Michael Nemec, steirisches Maishuhn, Suppenhuhn, Eier, Ente, Kaninchen, Reh, Hirsch und im Spätherbst Weide- und Hausgans verkauft. Seit seinem Markt-Rückzug im Jahr 2017 ist sie hier die Chefin.

„Für die Kunden macht’s keinen Unterschied, für mich natürlich schon.“ Sagt Frau Braduljević. Heute schupft sie auch den Einkauf und die Buchhaltung. „Halb so schlimm. Tatkräftige Hilfe erhalte ich von meinem Sohn Sascha.“

Besitzer der Blumenecke und Besitzerin des Geflügelstandes vor Plakat mit Händen die Hühnchen halten.
„Am Markt wird sie liebevoll Frau Brana genannt." (© Alexander Fortunat)

Die langjährige Standlerin wurde in Kladovo, einer kleinen Stadt im Osten Serbiens, geboren. Kladovo ist die letzte serbische Stadt, bevor sich die Donau endgültig in Richtung Rumänien verabschiedet. Aufgewachsen ist sie mehrsprachig: „Meine Großeltern haben mir Rumänisch beigebracht, in der Grundschule habe ich Serbisch gelernt.“

Und als sie im Alter von zehn Jahren ihren Eltern nach Österreich folgte, ihr Vater arbeitete bei der OMV, ihre Mutter in einer Druckerei, lernte sie auch Deutsch.

Und als sie, die immer Dolmetscherin werden wollte, im Alter von 25 Jahren auf dem Schlingermarkt zu arbeiten begann, lernte sie eine vom Aussterben bedrohte Sprache: das Markt-Wienerisch.

„Wild und Geflügel war nicht mein Traum“, sagt Frau Brana, wie sie auf dem Markt liebevoll genannt wird. „Aber dann habe ich ihn bekommen“, sagt sie und deutet auf ihren Sohn, der gerade einer Kundschaft ein Grillhuhn schmackhaft macht. „Durch die Arbeit vormittags am Markt konnte ich mich gut um den Buben kümmern.“ Der Bub ist heute ein junger Mann, und wenn alles weiterhin gut geht, wird er einmal ihren Stand übernehmen.

Ihre Kunden sind dankbar, dass sie das finanzielle Risiko auf sich genommen hat und den „Stand vom alten Nemec“ übernommen hat. Doch Branislava Braduljević sagt ihnen offen: „Was hätte ich anderes tun sollen? Wer hätte mich in meinem Alter genommen?“

Menschen wie Frau Brana haben die Gabe, über sich selbst zu lachen. Auf die Frage, was denn an ihrem Stand alles gleich geblieben ist, erklärt sie lächend: „Die schöne Ware und ich. Ich habe noch immer meinen weißen Mantel an, nur hackle ich jetzt wie ein Trottel.“ Nachsatz: „Aber das macht mir nix aus.“

Menschen wie Frau Brana haben zusätzlich das Glück, an das eigene Tun und an eine Zukunft der Welt zu glauben. Sie können damit auch andere, die weniger überzeugt sind, und da gibt es auf dem Schlingermarkt doch einige, positiv beeinflussen.

Ihr Optimismus ist nicht rein auf Melancholie gebaut, ihr Fleiß lässt sich inzwischen auch in den Verkaufszahlen ablesen: „Mein Geschäft geht besser als zuvor.“

Menschen wie Frau Brana, die „mit fast olle Leut’“ per du ist, haben auch die Größe, nicht nur zu nehmen, sondern auch zu geben. Sie verschenkt nichts, wenn sie das panierte Hendlfleisch in der Semmel am nächsten Tag zum halben Preis verkauft. Sie bedient aber mit diesem Angebot, das vom hygienischen Standpunkt absolut unbedenklich ist, zusätzlich eine Klientel, die ihren Euro zwei Mal umdrehen muss, bevor sie auf den Markt zum Einkaufen kommen kann. „Freitags“, erzählt die Händlerin, „kommt immer eine ältere Frau, die nimmt das schönere Fleisch für sich, und den Rest gibt sie ihren Hunden.“

Der Kontakt mit den Kunden ist sowieso „das Schönste“ in ihrem Beruf, sagt Branislava Braduljević.

„Der Markt ist Teil meines Lebens. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich in einem Büro sitze und den ganzen Tag in einen Computer reinschaue.“

Mehr zur Initiative "Leben am Schlingermarkt"