Von Zeichenmaschinen, Waschmaschinen
und Pompfinebrern

Portraitfoto von Frau Dietlinde Mang
© Julia Koch

Dietlinde Mang wurde vor 81 Jahren im Liebhartstal ge­boren. Gemeinsam mit zwei Schwestern wuchs sie in je­nem Haus auf, das ihr Großvater und ihr Vater damals selbst gebaut hatten und in dem Frau Mang heute immer noch lebt. Inzwischen teilt sie das Haus mit einem ihrer beiden Söhne und dessen Familie. In lebendigen Bildern schildert sie im Interview mit Julia Koch Vergangenheit und Gegenwart.

Frau Mang: Von der Maroltingergassen her in Richtung stadtauswärts waren alles Gärten, riesige Gärten. Die ganzen großen Bauten, die jetzt hier stehen, gab es alle nicht. Das erste richtige Haus, das gebaut wurde, war der Bockkeller. Dann der Bisinger, ein Wirtshaus. Damals hat es ja nur Bierwirtshäuser gegeben. Da sind die Leute am Sonntag mit Kind und Kegel hinausgepilgert, haben ihr Essen im Packerl mitgehabt und haben Bier getrunken. Und wir Kinder haben ein Kracherl gekriegt. Da hat man sich getroffen. Viele Wirtshäuser hat’s geben. Das Annerl Demuth zum Beispiel. Das war eine der letzten Wiener Sängerinnen, die war sehr berühmt, die hat dort einen Heurigen gehabt (Anm.: Zum Alten Drahrer). Die war im Weingarten immer geschminkt und hat hohe Stiefeln getragen und Braceletten. Die war ein Original.

Damals war der Friedhof noch was. Das hätten Sie erleben müssen!

Und einen Bauern haben wir da draußen gehabt, den Herrn Kraus, der hat Schweindln gehabt und Kühe. Und auf der anderen Seite vom Bauern war der Friedhof – da hat sich ja nicht viel geändert. Damals war ja der Friedhof noch was! Das hätten Sie erleben müssen, ein Allerheiligen damals. Da sind die Leute zu Hunderten hinaus. Die Straßen waren schwarz vor Leuten.  Außerdem hat es noch richtige Begräbnisse gegeben – mit schwarzen Pferden und silbernen Kutschen, wie zu Kaisers Zeiten, mit den Pompfinebrern (Anm.: von französisch pompe funebre: Begräbnisprunk, volkstümliche Bezeichnung für die schwarz, früher prunkvoll livrierten Bediensteten der Wiener Leichenbestattungsunternehmen.) Das war ja früher was – Friedhof, das war was! Was da für ein Aufwand betrieben wurde – solche Kränze. Und wir Mädchen wurden aufgeputzt zu Allerheiligen, mit Handschuh und Manterl und Haube.

"Es waren keine Autos auf den Straßen und wir konnten im Winter die Liebhartstalstraße und die Gallitzinstraße runter rodeln und Schi fahren."

Und neben dem Friedhof war eine große Gärtnerei. Die Frau Lehner. Die hat Glashäuser gehabt, die in die Erde eingebaut waren – da musste man ein paar Stufen hinuntergehen. Ich war dort die schönste Petersilienpflückerin. Die war schon über neunzig, die Frau Lehner, als sie in den 60er-Jahren dann weg hätt‘ müssen, weil der Pachtvertrag ausgelaufen ist, da hat sie sich im Glashaus erhängt. Danach wurden dort die Heimhäuser hin gebaut. Und so wird halt eins fürs andere dazu gebaut. Die Straßen können den Verkehr, der dadurch entstanden ist, ja schon gar nicht mehr aufnehmen. Wir sind ja damals noch alles g’rennt. Es hat ja keine Autos gegeben. Nur Wenige haben eines gehabt, wie mein Vater zum Beispiel und der Herr Schön von der Knopffabrik in Ottakring. Also waren keine Autos auf den Straßen und wir konnten im Winter die Liebhartstalstraße und die Gallitzinstraße runter rodeln und Schi fahren.

Julia: Und später dann? Was haben Sie beruflich gemacht?

Frau Mang: Ich hab die HTL in der Schellinggasse gemacht und war dann wie mein Großvater und mein Vater auch im Baugewerbe. Ich hab aber Jahre lang nicht gearbeitet, weil ich Kinder gekriegt hab. Danach war ich in der Creditanstalt – wir haben die Filialen selber gebaut.

„Dass am Ende doch alles gut geht, weiß man halt im Vorhin­ein nicht.“

Julia: Wie war es damals, als Frau in einer solchen Männer­domäne zu arbeiten?

Frau Mang: Heute hätte ich, nachdem ich ja fast zehn Jahre wegen der Kinder nicht gearbeitet hatte, keine Chance mehr in diesen technischen Beruf einzusteigen. Verändert sich ja alles viel zu schnell. Aber ich wurde damals doch ... na ja, „geschätzt“ will ich nicht sagen ... man hat mich leben lassen. Und ich habe mich halt lang­sam hinaufgedient als Zeichnerin. Ich bin Linkshän­derin und als Kind umerzogen worden auf die rechte Hand. Aber gezeichnet hab ich immer mit der linken Hand. Die Lineale und Zeichenmaschinen waren aber alle auf rechts ausgerichtet. Wirklich glücklich gewor­den bin ich dann also erst als Bauleiterin. Da hab ich eine schöne Zeit gehabt. Da war ich selbständig.

Julia: Welcher Mensch in Ihrem Leben hat Sie denn am meisten geprägt?

Frau Mang: Meine Mutter. Obwohl mein Vater mich als einzige von den drei Schwestern in die HTL geschickt hat und auch sein Auto hab nur ich fahren dürfen. Also, ja, die Eltern waren das Prägende. Mein Mann war nicht sehr lang da. Ich hab ihn in der Schule kennengelernt und wir haben in den 50er-Jahren geheiratet. Er ist dann weggegangen und ich war allein mit den Kindern.

Julia: Wofür sind Sie in Ihrem Le­ben am meisten dankbar?

Frau Mang: Ich bin in einer Zeit aufge­wachsen, die nicht schön war. Aber ich war zu jung um die ganzen Schrecken, die damals passiert sind, zu er­fassen. Und von dieser Zeit an ist es langsam bergauf gegangen. Es hat Einschrän­kungen gegeben, aber es ist immer besser geworden. Die Seligkeit der ersten Wasch­maschine können Sie sich gar nicht vorstellen. Ich hab da zugeschaut, wie sich die Wäsche dreht – wie fernge­sehen. Man hat so Stück für Stück gekriegt und sich dar­an freuen können. Wenn man gleich alles hat, schätzt man es ja gar nicht so. Es war lan­ge eine positive Entwicklung. Und alle haben ungefähr gleich viel gehabt. Natürlich hat es immer reiche Leute gegeben, aber wir sind in der Mittelschicht aufgewachsen und wir hatten alle ungefähr gleich viel. Das war beruhigend. Ich hatte immer das Gefühl, dass es bergauf geht. Und das ist etwas, was ich mir auch wünschen würde, dass es so bleibt – dass wir diesen Wohlstand und den Frieden weitergeben können.