40 Jahre für die Sanfte Stadterneuerung in Wien
„Den Menschen eine Stimme geben.“


Arch. DI Christiane Klerings war langjährige Mitarbeiterin und Projektleiterin der Gebietsbetreuungen Stadterneuerung. 2020 übergibt sie die Leitung „ihrer“ GB* im 6., 12., 13., 14., 15. und 23. Bezirk an ihren Nachfolger Markus Steinbichler und scheidet aus dem Team der Gebietsbetreuung Stadterneuerung aus. Wir haben Frau Klerings zum Gespräch gebeten und mit ihr über aktuelle Themen der Stadterneuerung, gesetzte Impulse und zukünftige Herausforderungen gesprochen.


Frau Klerings, was ist die zentrale Aufgabe von Stadterneuerung? Und was macht Ihrer Meinung nach den Kern erfolgreicher Stadterneuerung aus bzw. woran lässt sich der „Erfolg“ messen?

Als zentrale Aufgabe von Stadterneuerung habe ich immer die Verpflichtung gesehen, den Menschen, die in einem Grätzl leben, eine Stimme zu geben. Das bedeutet, sie frühzeitig in Entscheidungsprozesse, die ihren unmittelbaren Lebensraum betreffen, einzubinden und ihnen die dafür notwendigen Informationen niederschwellig und unbürokratisch zu übermitteln. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, offen auf die Menschen zuzugehen, Formate zu entwickeln, die ihr Interesse wecken, Netzwerke zu knüpfen, die ermöglichen, sich zu beteiligen und eigene Ideen und Kenntnisse einzubringen.

Der Erfolg lässt sich nach meiner Erfahrung am besten daran messen, wie sehr und von wem das Wissen und die Expertise der GB* nachgefragt wird und natürlich auch, an welchen Themen die GB* aktiv beteiligt wird. 


Der Schutz erhaltenswerter Bausubstanz war Ihnen immer ein wichtiges Anliegen. In Wien ist es möglich - unabhängig vom Denkmalschutz - sogenannte Schutzzonen im Flächenwidmungs- und Bebauungsplan festzulegen. Was ist das Ziel solcher Schutzmaßnahmen? Und braucht es diese auch heute noch?

Im Gegensatz zum Denkmalschutz, der ein historisch bedeutsames Gebäude in seiner Gesamtheit unter Schutz stellt, besteht der Grundgedanke der Schutzzonen (§ 7 der Bauordnung Wien) darin, Gebiete, die wegen des örtlichen Stadtbildes in ihrem äußeren Erscheinungsbild erhaltungswürdig sind, auszuweisen. 

Das bedeutet, dass ein Ensemble von - einzeln betrachtet vielleicht nur durchschnittlichen - Gebäuden gestalterisch gesehen durchaus einen bedeutenden Wert für die Identität eines Stadtteils haben kann. Allerdings geht es dabei lediglich um das äußere Erscheinungsbild, sodass Umbauten, Teilabbrüche, Dachgeschoßausbauten etc. durchaus möglich sind.

Darüber hinaus ist es mir im Sinne der Gebietsbetreuung Stadterneuerung immer um mehr als die reine Erhaltung von Gebäuden gegangen. 

Das Ziel nachhaltiger Stadterneuerung ist für mich einerseits, die Charakteristik eines Ortes zu erhalten, andererseits jedoch auch die Lebensqualität der Menschen in den Wohnungen und dem städtischen Umfeld nach ökologischen und stadtgestalterischen Gesichtspunkten aufzuwerten. 

So gesehen sind die Schutzzonen ein gutes Beispiel für die fachlichen Kompetenzen, die das Team einer Gebietsbetreuung Stadterneuerung aufweisen muss, um als einfach zugängliche Anlaufstelle vor Ort Auskunft und Hilfestellung bei den sehr unterschiedlichen Fragen rund um Veränderungen in einem Stadtgebiet anzubieten. Diese können von baulichen Maßnahmen über Begrünungsmaßnahmen sowohl in Innenhöfen als auch im öffentlichen Raum bis zur Verbesserung der Nutzungsqualitäten für das Wohn- und Arbeitsumfeld reichen.

Meine Erfahrungen bei zahlreichen Grätzel- und Gartenspaziergängen, die ich durchgeführt habe, zeigen, dass durch die erfolgreichen Förderungen von Sanierungsprojekten und Blocksanierungen durch den Wohnfonds Wien, an denen die Gebietsbetreuungen Stadterneuerung zum Teil intensiv beteiligt waren, auch bei den Bewohner*innen ein intensiveres Verständnis für das historische Erbe Wiens entstanden ist. 

Wie sich erst vor kurzem im 15. Bezirk gezeigt hat, wird die Zerstörung charakteristischer Bauwerke mittlerweile auch seitens der Anrainer*innen zunehmend negativ beurteilt. Zwar muss seit dem Vorjahr für den Abbruch von Gebäuden, die vor 1945 errichtet worden sind, auch außerhalb von Schutzzonen um eine Abbruchgenehmigung angesucht werden, aber in diesem Fall wurde der beabsichtigte Abbruch vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung bekannt gegeben und war daher trotz intensiven Bemühungen nicht mehr zu verhindern.

Um zukünftig Abbrüche zu erschweren, bin ich daher der Meinung, dass man gerade in den Bezirken, die derzeit eine rege Bautätigkeit aufweisen, dennoch die Ausweitung von Schutzzonen überlegen sollte.

Das gilt besonders für Stadtteile wo sich noch zusammenhängender historischer Baubestand befindet, der im Vergleich zum gültigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplan unterklassig bebaut ist und daher bei Abbruch und Neubau höhere Nutzflächen verspricht. Das sind zumeist vor- und frühgründerzeitliche Bauten, deren Bedeutung für das Stadtbild gegebenenfalls neu bewertet werden müsste. Die Schaffung solcher neuer Schutzzonen käme einem Statement der Wertschätzung gleich.



In Wien steht der Schutz der Mieterinnen und Mieter an erster Stelle. Auch die GB* sind hier wichtige Partner der Stadt Wien. Wie kann man Wohnungsspekulation erfolgreich begegnen? Was braucht es dazu? 

Ein starkes Mietrecht, gute Mietrechtsberatung mit besonderem Schwerpunkt auf Hilfe zur Selbsthilfe, sowie eine Vernetzung aller beratenden Stellen, aber auch  Förderungen für nachhaltige und leistbare Sanierungsprojekte, die das Interesse von Eigentümern wecken. 


Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, denen sich die Wiener Stadtentwicklung und Stadterneuerung in den nächsten fünf bis zehn Jahren widmen muss/soll?

Wien ist in den letzten Jahren stark gewachsen, was in innerstädtischen Lagen zu verstärkter Verdichtung geführt hat, die besonders im Liegenschaftsbereich durch die Ausnützung aller Bebauungsmöglichkeiten den Bestand an begrünten Innenhöfen, die für alle Bewohner*innen nutzbar waren, reduziert hat.Wie uns nicht erst die Pandemie gelehrt hat, ist es wichtig, verstärkte Aufmerksamkeit auf die ökologischen Anforderungen an die Stadt als qualitätsvollen Lebensraum zu legen.

Insbesondere in Hinblick darauf, dass sich Freizeit-Sport- und Erholungsangebote an alle richten, die in der Stadt wohnen, und gegebenenfalls durch ihre beengte Wohnsituation besonderen Bedarf an kostenlosen Angeboten im Freien haben.

Gesichtspunkte der Stadtökologie müssen daher verstärkt in alle Planungsprozesse eingebunden werden, sowohl, was die Gestaltung des öffentlichen Raumes, als auch den Schutz begrünter Innenhöfe und die Förderung von Fassadenbegrünungen betrifft. Besonders im dicht verbauten Stadtgebiet muss mit dem verfügbaren Freiraum sorgfältig umgegangen werden.

Die Straßenräume sollen verstärkt den Stadtnutzer*innen zur Verfügung stehen und Begrünungen Vorrang vor Parkplätzen haben. Wo möglich, sollen Versickerungsflächen (z.B. à la Schwammstadt) und Fassadenbegrünungen vermehrt umgesetzt werden, um so das Stadtklima nachhaltig zu verbessern. Fußläufige Wegeverbindungen und Radwege sollten benutzerfreundlich und durchgehend ausgebaut werden (Stadt der kurzen Wege).

Naja, eigentlich eh alles wie immer, außer dass die Bewohner*innen und Benutzer*innen noch stärker als bisher im Vorfeld geplanter Umgestaltungen in den Planungsprozess eingebunden werden sollten.

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