Eine Stadt zum Flanieren
„Ein gelungener Freiraum wird gerne und kreativ genutzt.“

Moderne Stadterneuerung setzte viele Impulse; z.B. im Bereich der Attraktivierung von Einkaufsstraßen, die einen lebenswerten Stadtteil ausmachen, kurze Wege ermöglichen und die Nahversorgung sichern.


In Ihrer langjährigen Tätigkeit haben Sie viele Impulse in unterschiedlichen Bereichen gesetzt. Im Rahmen des Projekts „Lebendige Straßen“ wurden in Kooperation mit Bezirk, Wirtschaftstreibenden und der Bevölkerung innovative Methoden erarbeitet, um innerstädtischen Einkaufsstraßen neue Dynamik zu verleihen. Wie beurteilen Sie die Lage damals und heute? Welche Maßnahmen sehen Sie im Kampf gegen den Leerstand in Wiens Erdgeschoßzone?

Das GB*-Zusatzprojekt „Lebendige Straßen“ wurde 2008 pilothaft in drei Bezirken gestartet. Ziel war es, innerhalb von drei Jahren Ideen für die Aufwertung der Erdgeschoßzonen und eine Belebung des Straßenraumes von historisch gewachsenen bezirksbezogenen Einkaufsstraßen zu erarbeiten und die Methoden zu dokumentieren.

Eine Einkaufsstraße endet nicht im Erdgeschoß.

Was wir am Beispiel der Lerchenfelder Straße gelernt haben, ist die Tatsache, dass eine regionale Einkaufsstraße nicht im Erdgeschoß endet, sondern intensiv in den Gebäudebestand und das Umfeld eingebunden ist. Die bauliche Gestaltung der Häuser hat großen Einfluss darauf, welche Nutzungen die Erdgeschoßzonen überhaupt zulassen, ebenso wie die angrenzenden Straßenräume von großer Wichtigkeit sind, was die Ansiedlung von Geschäften betrifft. Stichworte: Barrierefreiheit, mögliche Schanigärten, Flanierqualität, Beschattung durch Bäume, gute Zulieferung, konsumfreie Aufenthaltsbereiche, sichere Querungen, Straßenbeleuchtung etc., etc. 

Um hier die notwendigen Maßnahmen zur Attraktivierung umzusetzen, war und ist die Einbindung der Bezirke und der entsprechenden Dienststellen unumgänglich. 

Daneben sind es natürlich besonders die Menschen vor Ort, sowohl Bewohner*innen, als auch Gewerbetreibende, Geschäftsleute, Hauseigentümer*innen, die für den Erfolg einer Straße wichtig sind.

Denn eine lebendige Straße bedarf lebendiger Strukturen und unterliegt laufenden Veränderungen, auch hinsichtlich der Durchmischung von „alten“ und neu zugezogenen Akteur*innen und des Angebotes in den Geschäften, aber auch hinsichtlich der steigenden Anforderungen an den öffentlichen Raum.  

Um diese Einbindung aller Beteiligten in die Entwicklung der Straße zu erreichen, braucht es eine Anlaufstelle vor Ort, die als Informationsdrehscheibe, Ort für Ausstellungen, Diskussionen und Beratungen dienen kann, aber auch die richtigen Personen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. 

Nach drei Jahren hat sich gezeigt, dass sich die Lerchenfelder Straße zu ihrem Vorteil zu wandeln begonnen hat. Allerdings war das Projekt zu arbeitsintensiv, um im Rahmen der GB*-Tätigkeit bearbeitet zu werden. Deshalb haben sich die beiden angrenzenden Bezirke darauf geeinigt, das Projekt „Lebendige Lerchenfelder Straße“ im Hinblick auf die Aufwertung des gesamten Umfeldes weiter zu finanzieren.

Ende 2019 haben wir unter dem Titel „Lerchenfelder Perspektiven“ eine zweitägige Veranstaltung durchgeführt, an der neben zahlreichen Bezirksbewohner*innen und Politiker*innen auch Fachleute und Behördenvertreter*innen teilgenommen haben. Im Rahmen dieser zwei Tage wurden einerseits bereits erreichte Ziele vorgestellt, andererseits über Vorschläge für zukünftige Entwicklungen diskutiert. Unter anderem wurde festgestellt, dass die Lerchenfelder Straße zu den Geschäftsstraßen mit den geringsten Leerständen in Wien zählt, was vor allem auf die Ansiedlung kreativer Gewerbetreibender zurückgeführt werden kann. Trotzdem bedarf es aber im öffentlichen Raum noch einiger Verbesserungen und einer stärkeren Vernetzung mit dem Umfeld, um die Bedeutung der Straße für das Umfeld weiter zu erhöhen.

Leider hat die Corona- Pandemie die zügige Umsetzung vieler der damals besprochenen Ideen und Projekte verzögert oder gestoppt und die Situation der Gewerbetreibenden wie überall extrem erschwert. Aber die Planungen für den öffentlichen Raum wurden weiter betrieben und die Zukunft wird zeigen, wie resilient die neuen Strukturen der Straße sind, bzw. wo es Verbesserungsbedarf gibt.


Sie haben sich schon Anfang der neunziger Jahre mit „Grünen Wegen“ durch und in der Stadt auseinandergesetzt. Was ist darunter zu verstehen? Und inwieweit sind solche Konzepte in Zeiten notwendiger Klimaanpassungen förderlich?

Die Idee des „Grünen Weges“ war eigentlich ganz einfach: Wir haben uns gefragt, was ein Straßenraum braucht, um für Fußgänger*innen so attraktiv zu sein, dass das Gehen zum Vergnügen wird und legten folgende Kriterien fest: breite Gehsteige (ca. 2 m), die zum Flanieren anregen, Sitzgelegenheiten, die zum konsumfreien Aufenthalt einladen, schattenspendende Bäume, die Grün und Kühlung in den Straßenraum bringen, sichere Querungsmöglichkeiten und gute Orientierungsmöglichkeiten. 

Danach haben wir in einem ersten Schritt Straßenräume ausgewählt, die attraktiv und vielfältig waren, um so ein Fußwegenetz zu schaffen, welches das Zufußgehen zum Erlebnis macht.

Die Ausgestaltung der Straßenräume sollte nach drei Kriterien erfolgen, die ich unserer Broschüre „Ein grüner Weg durch Mariahilf und Neubau“, die 1995 erschienen ist, entnommen habe:

  • ökologisch: große Bäume, Fassadenbegrünung, wasser- und luftdurchlässige Bodenbeläge
  • sicher: Vermeidung und Beseitigung von „Angsträumen“, Verkehrssicherheit
  • bequem: breite Gehsteige, Ruhebereiche, fußgängerfreundliche Gestaltung

Man könnte sagen, es handelte sich im Prinzip um eine Art „coole Straße“ und war daher damals schon zukunftsweisend. Besonders, wenn man sich vergegenwärtigt, wie baumlos und dicht verparkt die Straßen der Innenbezirke gewesen sind. 


Stichwort öffentliche Freiräume; Sie haben gemeinsam mit Ihren Teams zahlreiche Um- und Neugestaltungen begleitet. Was macht aus Ihrer Sicht einen gelungenen Freiraum aus bzw. auf was ist bei der Gestaltung Freiräumen besonders zu achten?

Ein gelungener Freiraum ist einfach daran zu erkennen, dass er gerne und kreativ genutzt wird. Dabei kommt es weniger auf die Größe eines Platzes an, als auf die Berücksichtigung der potentiellen Nutzer*innen und ihrer Bedürfnisse.

Diese Bedürfnisse im Vorfeld mittels eines Beteiligungsverfahrens, das auf das jeweilige Projekt abgestimmt ist, als Grundlage für die Gestaltung zu erheben, hat sich als zielführend erwiesen, ebenso wie Expert*innengespräche, in denen Ziele und Möglichkeiten abgeklärt werden.


Mit der Corona-Pandemie wurde viel über öffentliche Räume, ihre Bedeutung, Zugänglichkeit und Verfügbarkeit in der Stadt diskutiert. Und auch in Bezug auf Wohnen stellt uns die Pandemie vor neue Fragen. Welche Folgen wird die Pandemie im Bereich Stadterneuerung und -entwicklung nach sich ziehen? Was wird bleiben? Was wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen?

Das letzte Jahr hat uns deutlich gezeigt, wie wichtig wohnungsbezogene bzw. wohnungsnahe Freiräume für das Wohlbefinden sind. Das bedeutet, in Zukunft stärkeres Augenmerk auf die Schaffung von Balkonen, Terrassen und für alle Bewohner*innen nutzbare Freiflächen zu legen. Es gilt aber auch Kinderspielplätze, die in der Bauordnung vorgeschrieben sind, auch so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen tatsächlich entsprechen.

Eine gute Alternative kann auch die Gestaltung von Straßenräumen sein, in denen der Aufenthaltsqualität für die Wohn- und Arbeitsbevölkerung eines Grätzles Vorrang vor den Ansprüchen des Individualverkehrs gegeben wird. Die prozentuelle Aufteilung des öffentlichen Raumes berücksichtigt auch heute noch die Bedürfnisse von Autobesitzer*innen zuungunsten anderer Nutzer*innen des öffentlichen Raumes viel zu sehr.

Und natürlich sollte die Mehrfachnutzung von temporär genutzten Flächen verstärkt in die Planungen einbezogen werden.


Eine persönliche Frage zum Schluss: Auf was freuen Sie sich nach Ihrer intensiven langjährigen GB*-Tätigkeit am meisten?

Auf das neugierige Erforschen der Welt!
 

Dabei wünschen wir Ihnen viel Freude und sagen herzlichen Dank für das interessante Gespräch!


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